Exkursion in den Kosovo 2011
Im Rahmen des Masterseminars „Das Kosovo-Protektorat: Die militärischen und zivilen Dimensionen von Strategiefähigkeit“
von Claudia Katzl, Anne Lange und Steffen Eckhard
Das Forschungsseminar widmete sich der Fragestellung, mit welchen Schwierigkeiten der zivilen und militärischen Strategieentwicklung die im Kosovo tätigen internationalen Akteure seit der Intervention 1999 konfrontiert waren und welche Erfolge und Versäumnisse hierbei zu verzeichnen sind. Ziel war es dabei, Einblicke in die komplexen Problemstellungen moderner Friedensmissionen zu erhalten und sich dem Konstrukt der Strategiefähigkeit durch vorhandene Literatur und Interviews vor Ort empirisch zu nähern. Das Forschungsseminar konnte dank der finanziellen Unterstützung durch den Fachbereich, den Exzellenzcluster, die UGK und den VEUK umgesetzt werden. Die Seminarsitzungen wurden durch Peter Schumann, ehemals als UN Mitarbeiter im Kosovo tätig und heute Senior Fellow am Exzellenzcluster, als Experten bereichert.
Der aus teilgeblockten Seminarsitzungen bestehende erste Teil des Forschungsseminars diente der Erarbeitung der theoretischen und inhaltlichen Grundlagen zu Ursachen und Verlauf des Konflikts sowie der zivil und militärisch relevanten Aspekte der internationalen Administration. Das Lehrkonzept sah dabei vor, dass sich die Studierenden in Gruppenarbeit selbst dem abstrakten Konzept der Strategiefähigkeit nähern sollten: Dabei wurden Begriffsinhalte von Strategie sowie Strategiefähigkeit, die zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen dieser Konzepte sowie die Bedeutung von Strategiefähigkeit für die Arbeit innerhalb eines modernen Protektorats in Gruppenarbeit durch die Studierenden erschlossen, Möglichkeiten der Operationalisierung erarbeitet, Lücken in der Literatur identifiziert und eine erste Bewertung einzelner Akteure und Politikfelder vorgenommen.
Mit diesem umfangreichen aber auch abstrakten Vorwissen im Gepäck, begab sich die Gruppe im Januar 2011 für eine Woche in den Kosovo. Dabei wurde die Reise im Allgemeinen sowie die von den Studierenden geführten Experteninterviews im Besonderen derart gestaltet, dass die Gruppe das Kosovo-Protektorat in seiner ganzen Komplexität verstehen konnten. Hochkarätige Vertreter der im Kosovo tätigen UN-Mission (UNMIK), der bedeutendsten EU-Mission (EULEX), des International Civilian Office (ICO), der stationierten NATO-Truppe (KFOR), der OSZE sowie der deutschen Botschaft und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (GIZ und KfW) standen als Interviewpartner zur Verfügung. Aber auch die kosovarische Perspektive auf die Tätigkeit der internationalen Akteure kam bei Gesprächen mit dem Leiter des führenden kosovarischen Think Tanks KIPRED, dem Staatssekretär des jungen kosovarischen Außenministeriums sowie mit der Stellvertretenden Polizeipräsidentin nicht zu kurz.
Die meisten Gespräche fanden in Priština statt, aber auch Fahrten in Richtung Mitrovica und Peja/Deçani wurden unternommen, um Einblicke in das eher ländliche Leben außerhalb der Hauptstadt zu gewinnen. Während Priština den Eindruck einer recht grauen, muslimisch geprägten, deutlich um europäischen Anschluss bemühten und im Großen und Ganzen sehr friedlichen Stadt erweckte, ist der interethnische Konflikt im Norden des Landes und um die jahrhundertealten serbisch-orthodoxen Klöster auch heute noch offen sichtbar. Teilweise surreal anmutende Szenen - Autofahrer die ihre kosovarischen Nummernschilder durch Serbische tauschen, da sie im Norden Repressalien befürchten müssen (und anders herum) - auf der von Militär und Polizei bewachten Brücke über den Ibar-Fluss, der die Stadt Mitrovica in einen serbischen und einen kosovo-albanischen Teil trennt, verdeutlichten den Studierenden die anhaltenden Spannungen und die begrenzte Reichweite der kosovarischen Staatsgewalt. Die Problematik des faktisch serbisch verwalteten Nordmitrovica und Nordkosovo begegnete der Gruppe fortwährend in den Gesprächen. Dass eine Lösung für diesen Territorialkonflikt noch immer aussteht, belastet das Verhältnis zwischen Priština und Belgrad und die Zukunft beider Länder, die Bevölkerung des Nordkosovo wird dabei kollektiv in Geiselhaft genommen und leidet unter der angesichts fehlender rechtstaatlicher Institutionen grassierenden Kriminalität und den verheerenden sozio-ökonomischen Verhältnissen.
Es ist besonders tragisch, dass die internationale Gemeinschaft, die zwar einst durch einen Beschluss des Weltsicherheitsrates einmütig die Übergangsverwaltung des Kosovo initiierte, heute keine einheitliche Position zur Unabhängigkeit des Landes einnehmen kann - nicht einmal die Europäische Union spricht mit einer Stimme. So verweigern dem Kosovo heute vor allem die Länder die Anerkennung, die selbst Probleme mit separatistischen Bewegungen haben. Die Folgen sind nicht nur im Norden des Landes gravierend: Beispielsweise dürfen Richter, die im Rahmen der EU-Mission EULEX am Aufbau des kosovarischen Justizsystems mitwirken, de jure nicht auf Basis von Gesetzen Recht sprechen, die nach der Unabhängigkeit des Landes durch das demokratisch gewählte Parlament verabschiedet wurden. Die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft mit einer Stimme zu sprechen, wurde von den Studierenden als eines der zentralen Hindernisse für strategisches und koordiniertes Handeln identifiziert. Doch auch strategisches Handeln schützt nicht vor unerwünschten Nebeneffekten: So wurde auch klar, dass die Ziele Sicherheit bzw. Stabilität und Rechtsstaatlichkeit in einem Spannungsverhältnis stehen und dass die Schwäche des kosovarischen Justizsystems auch Folge des langjährigen primären Fokus der internationalen Akteure auf eine Politik der Stabilität ist.
Im Anschluss an die Exkursion sind nun die Teilnehmer aufgefordert, die zahllosen Informationen und Eindrücke in Hausarbeiten zu verarbeiten. Dabei soll die Frage nach der Strategiefähigkeit der internationalen Akteure anhand einzelner, ausgewählter Aspekte beantwortet werden. Dies bildet dann den Abschluss dieser spannenden Simulation eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts, angefangen von der Identifikation einer Forschungslücke, über die Ausarbeitung eines Analysekonzepts, bis zur Durchführung der Experteninterviews und der Analyse der gesammelten Empirie. Dabei wird dieses Seminar besonders den Studierenden, die unmittelbar vor ihrer MA-Arbeit stehen bzw. ein Promotionsstudium anstreben, einen wertvollen Erfahrungsvorsprung verschaffen.
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