Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Rebecca L. Walkowitz (2017)

Reading Both: Literary History and the Monolingual Model

12. Juli 2017
Universität Konstanz, Senatssaal V 1001

„Künftig werden wir anders lesen müssen und Literatur auf ganz unterschiedliche Weise vergleichend betrachten: Literarische Werke werden sowohl in ihrer regionalen Verortung als auch in ihrer globalen Verbreitung zu lesen sein. Wir werden Editionen und Formate vergleichen müssen und Werke innerhalb einer Sprache und über Sprachgrenzen hinweg.“
Rebecca L. Walkowitz

Bericht

Von Maximilian Heber

Was ist der Gegenstand von Literaturwissenschaft vor dem Hintergrund der Globalisierung: Literatur, die innerhalb einer Nation verfasst wird, oder schlicht sämtliche Werke in einer bestimmten Sprache? Und wie hinterfragen zeitgenössische Autoren in ihren Werken solche nationale wie sprachliche Kategorisierungen? Im Vortrag „Reading Both: Literary History and the Monolingual Model“, der achten Wolfgang-Iser-Lecture, widmete sich Rebecca Walkowitz, Professorin für Englisch an der amerikanischen Rutgers University, diesem Thema.

Die Iser-Lecture, die der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ in Erinnerung an den berühmten Konstanzer Literaturwissenschaftler veranstaltet, nimmt, wie Silvia Mergenthal einleitend erklärte, innovative Perspektiven für die Literaturwissenschaft in ihren Fokus.

In ihrer Einführung erläuterte Mergenthal, wie Walkowitz' Werke mit Isers Schriften zusammenhingen, und legte gleichzeitig die Zukunftsträchtigkeit von Walkowitz' Opus für die Literaturwissenschaft dar: Heute, so Walkowitz, ginge es in der Literaturwissenschaft mehr denn je darum, komparativ ebenso wie kollaborativ zu arbeiten, den Nationalstaat und die Einzelsprache als gedanklichen Fokus beiseitezulegen. Es gelte, sich dem Umstand zu stellen, dass dieser traditionell einzelphilologische Rahmen der globalen kulturellen Realität nicht gerecht werden könne.

Rebecca Walkowitz

Walkowitz griff zu Beginn der Iser-Lecture Mergenthals Gedanken von Integration und komparativer Literaturwissenschaft auf und betonte, wie wesentlich die Verbindung diverser Philologien sei. Walkowitz' erinnerte daran, dass Sprachgeschichte und die Produktion literarischer Texte stets eng miteinander verwoben sind. Interaktionen und Kooperationen auf internationaler Basis haben seit jeher dazu geführt, dass Elemente, welche gemeinhin mit einer Nation in Zusammenhang gebracht werden, in Wirklichkeit transnational in verschiedenen kulturellen Kontexten wirksam werden. Hier schlug die Referentin eine Brücke zu ihren eigenen Wurzeln – und legte anhand der Migrationsgeschichte ihrer eigenen Vorfahren dar, dass transnationale Bewegungen auch außerhalb literarischer Texte global große Tragweite haben.

Wie schon ihre Kollegin Linda Hutcheon in der fünften Iser-Lecture im Jahre 2013 kritisierte Rebecca Walkowitz das „nationale Modell“ und untermalte die mit diesem Modell verbundenen Schwierigkeiten mittels der definitorisch ungeklärten Frage, was anglophone Literatur sei. Literatur aus der sogenannten ‚Peripherie‘ – also den englischsprachigen Ländern neben den USA und Großbritannien? Oder doch generell Literatur, die auf englisch produziert wird – also unabhängig von Ort und Autor? Im Gegensatz hierzu komme der Begriff des Postanglophonen den kulturellen Realitäten von nationalem und sprachlichem Kontakt und den daraus erwachsenden Verschmelzungsphänomenen für den englischen Sprachraum deutlich näher. Gleichzeitig stelle er das Konzept des Anglophonen in Frage.

Im Weiteren verglich Rebecca Walkowitz den anglophonen mit anderen Sprachräumen: Anhand der Beispiele der frankophonen und der sinophonen Welt illustrierte Walkowitz nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Machbarkeit sprachübergreifender Kollaboration ohne Fokus auf einzelne Nationen. Sprachraumübergreifende Zusammenarbeit und deren Vergangenheit müsse im Zentrum der akademischen Anstrengungen liegen.

Abschließend legte Rebecca Walkowitz anhand einiger Beispiele von Gegenwartsliteratur dar, dass dies im englischsprachigen literarischen Diskurs bereits geschieht. Junot Diaz’ Romane beinhalten sowohl englisch- als auch spanischsprachige Elemente, wobei Elemente, die in der Regel nicht als „englisch“ gelten, kursiv markiert sind. Anhand einiger Textbeispiele zeigte Walkowitz, dass Nicht-Englisch und Spanisch hierbei nicht immer zusammenfallen: Nur spanischsprachige Ausdrücke, welche spezifisch für die Dominikanische Republik sind („Dominican Dominican“), sind kursiv markiert, während gängigere spanische Ausdrücke im Schriftschnitt (oder: Druck?) wie englische behandelt werden. Dagegen stehe Standard-Englisch gar nicht auf der Tagesordnung.

Wichtiger noch, so demonstriert Walkowitz, es gibt kein in Stein gemeißeltes Englisch. Die Sprache befindet sich in stetigem Wandel – und so wandelt sich im Zuge transnationaler Strömungen auch die Kultur. Dass dies schon immer so war, untermauerte Prof. Walkowitz anhand The Wake von Paul Kingsnorth. Der 2014 erschienene Roman beinhaltet altenglische Sätze zwischen neuenglischen Sätzen und illustriert so, wie sehr sich das Englische durch die normannische Eroberung von seinen germanischen Wurzeln entfernt hat. Gleichzeitig führt er dem Leser vor Augen, wie umfassend sprachkontaktbezogene Einflüsse das Englische seit jeher Änderungen unterwerfen. In Walkowitz’ Worten:

„Wir haben die Geschichte des Englischen vergessen. The Wake will unser Erinnerungsvermögen neu wecken.“

Als Fazit betonte Walkowitz, wie wichtig es sei, aus den Blickwinkeln verschiedener historischer Perspektiven zu arbeiten und uns so innersprachlicher – und damit auch literarischer – Vielfalt bewusst zu werden. Walkowitz’ Vortrag wurde vom Publikum mit großen Applaus aufgenommen – wie Aleida Assmann, Mitinitiatorin der Wolfgang-Iser-Lectures, begeistert bemerkte: „Wolfgang Iser would have liked it.“

Maximilian Heber studiert M.A. Literaturwissenschaft mit Fokus Amerikanistik.

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