Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Europa in Afrika studieren

Der Start einer zukunftsweisenden südafrikanisch-deutschen Kooperation

von Claudia Marion Voigtmann

 

Campus der University of Pretoria
Auf dem Campus der University of Pretoria

Auf so viele Déjà-vu-Eindrücke sind sie gar nicht gefasst. Doch als Ethel Matala de Mazza, Sven Sappelt und Thomas Weitin mit dem Auto vom Flughafen im südafrikanischen Johannesburg nach Pretoria fahren, erinnert sie  sehr viel an Europa und die USA – die Architektur, die sich derzeit am Baustil der Toskana orientiert, die lieblich hügelige Landschaft, die riesigen Masten mit bunten Werbetafeln am Straßenrand. Statt ärmlicher Behausungen sieht man vom Highway aus nur die industriellen Vorposten zweier aufeinander zuwachsender Metropolen. Vor näheren Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung schirmt das Hotel ab, das als sorgsam bewachtes Wohlstandsgehege sämtliche Touristenbedürfnisse erfüllt. So perfekt, dass man sich als Europäer genauestens „erkannt“ fühle, wie Ethel Matala de Mazza sich ausdrückt. Auf den ersten Blick ist Südafrika ein Land, in dem sich die ‚Erste Welt‘ längst komfortabel eingerichtet hat.

Der erste Studiengang dieser Art in Südafrika

Allerdings sind Ethel Matala de Mazza, Professorin für Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Methoden an der Universität Konstanz, Sven Sappelt, Wissenschaftlicher Koordinator am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“, und Thomas Weitin, Juniorprofessor für Neuere deutsche Literatur im europäischen Kontext, nicht als Touristen unterwegs. Sie unterstützen südafrikanische Kollegen der University of Pretoria beim Aufbau eines Europa-Studiengangs und geben Erfahrungen weiter, die sie bei ihrer Einrichtung des Konstanzer Master-Studiengangs „Kulturelle Grundlagen Europas“ in den letzten drei Jahren gesammelt haben. Der geplante, kulturwissenschaftlich ausgerichtete „M.A. Europe Studies“ – schon der Titel gibt in Pretoria Anlass zu hitzigen Diskussionen – wird der erste Studiengang dieser Art in Südafrika sein.

Eingang zum Hauptgebäude der University of Pretoria
Das Hauptgebäude der University of Pretoria

„Let’s study them,“ formuliert Maxi Schoeman, Professorin für Politikwissenschaften an der University of Pretoria, ihr persönliches Interesse an dem Projekt. „Them“ meint Europa bzw. die Europäer, zu denen Südafrika aufgrund der Kolonialgeschichte und des brutalen Apartheidregimes bis heute ein äußerst gespanntes Verhältnis hat. Spannungsreich, aber auch spannend: „Das gegenseitige Interesse unter hoch sensiblen Bedingungen macht diese Kooperation so reizvoll,“ erklärt Sven Sappelt. „denn sie erfordert einen neuartigen Dialog jenseits postkolonialer Freund-Feind-Schemata und ermöglicht diesen zugleich.“ Zu dem Auftaktworkshop an der University of Pretoria sind südafrikanische Kollegen aus unterschiedlichen Fachbereichen gekommen. Und als sie merken, dass die „Deutschen“ keineswegs als Entwicklungshelfer auftreten, lassen sie sich auf den Austausch mit großer Offenheit ein.

Sprache als höchst politische Angelegenheit

Die Kooperation, die der DAAD großzügig fördert, bringt beiden Seiten überraschende Einblicke. „Die Einrichtung eines Studiengangs, der die Kultur und Sprachen Europas behandeln wird, ist in Südafrika eine höchst politische Angelegenheit. Darauf mussten wir uns erst einstellen,“ bekennt Thomas Weitin. Seit Jahren geht der Fremdsprachenunterricht in den Sekundarschulen Südafrikas zurück, verkümmern europäische Philologien an den Universitäten zu bloßen „Sprachschulen“, die immer weniger Zulauf finden. „Wir haben die Hoffnung,“ so Ethel Matala de Mazza, „dass die Einrichtung des neuen Studiengangs diesen Trend an den südafrikanischen Universitäten aufhalten kann. Die Hochschulpolitik des Landes setzt im Augenblick andere Schwerpunkte. Gleichzeitig stehen Fragen transnationaler citizenships, des kulturellen Gedächtnisses, der Menschenrechte, der Medienethik im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Hier kann ein kulturwissenschaftliches Programm ansetzen und sich den Beziehungen zwischen Südafrika und Europa unter neuem Blickwinkel nähern.“

Ein zukunftsorientiertes Projekt in einem Land, dessen bewegte Vergangenheit noch längst nicht überwunden ist. „Man kann diese Vergangenheit nicht nicht wahrnehmen,“ schildert Thomas Weitin seine Eindrücke. „Jede Bewegung in diesem Land bringt einen an Stätten, die an die Kolonialzeit oder an die Ära der Apartheid erinnern.“ Schon der Name der Hauptstadt zeugt davon: 2005 wurde Pretoria auf Betreiben des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in Tshwane („Wir sind alle gleich“) umbenannt.

Geschichte ist zugleich Hypothek und günstige Basis

Auch die University of Pretoria ist ein geschichtsträchtiger Ort. Die ehemalige Kaderschmiede der Apartheid-Elite wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von südafrikanischen Buren als Gegenstück zur britisch geprägten University of Witwatersrand (Johannesburg) gegründet. Nach wie vor genießt die „Wits“ den Ruf größerer Liberalität; schon vor Ende der Apartheid nahm sie farbige Studenten auf. Dagegen legte die afrikaanssprachige University of Pretoria – zur kulturellen Rückendeckung des Regimes der „Weißen“ – seit jeher Wert auf ein breites Angebot an historischen und philologischen Fächern. Für Studiengänge wie den geplanten „M.A. Europe Studies“ ist das eine heikle Hypothek, aber zugleich eine günstige Basis.

„Before it was us. Now it is them.“

Wie wenig selbstverständlich das Miteinander zwischen schwarzen und weißen Studenten immer noch ist, fällt den Besuchern aus Konstanz sofort auf. Auf dem Campus mischen sich Gruppen kaum. Eine weiße Studentin erklärt unverblümt: „We don’t like them. They don’t like us.“ Das habe auch mit sprachlichen Barrieren zu tun – die einen sprechen Afrikaans, die anderen Zulu, Sotho oder einen anderen lokalen Dialekt. Der Hauptgrund für die hartnäckigen Vorurteile liege angeblich in der Umkehrung der Chancen, wie die junge Frau erläutert: „Before it was us. Now it is them“. Nachdem die weißen Bevölkerungsschichten Jahrzehnte lang die Jobs unter sich aufteilten, hätten sie gegenüber den Schwarzen nun ihrerseits das Nachsehen. Wie lange es noch dauern wird, bis die Hautfarbe keinerlei Bedeutung mehr für politische Debatten hat und das koloniale Erbe wirklich überwunden ist, lässt sich also kaum vorhersehen...

Claudia Marion Voigtmann ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Exzellenzclusters.

Weitere Informationen

Europa studieren!
die Webseite des Konstanzer M.A.-Studienganges „Kulturelle Grundlagen Europas“

Europa aus der Perspektive Südafrikas verstehen
Der innovative Master-Studiengang „Kulturelle Grundlagen Europas“ der Universität Konstanz steht Pate für die Entwicklung der neuen Europa-Studien in Pretoria, der Hauptstadt von Südafrika. Pressemitteilung, 18. Februar 2010