Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Gewalttätige Proteste an südafrikanischen Universitäten

Stephan Mühr

Seit Herbst 2015 gibt es an mehreren südafrikanischen Universitäten, darunter Pretoria, Proteste, die Ende Februar 2016 eskalierten. Bei Unruhen kam es zu Gewalttätigkeiten zwischen Demonstrierenden und Sicherheitspersonal, Brandstiftungen und Sachbeschädigungen. Die Universität Pretoria wurde daraufhin für mehrere Tage geschlossen.

Wir sprachen mit Prof. Dr. Stephan Mühr (Pretoria) über die aktuelle Lage in Pretoria.

Hintergrund

Die Konflikte in Südafrika schwelen schon länger: Mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid herrschen hohe Arbeitslosigkeit und große Einkommens­unterschiede. Im Oktober 2015 eskalierten die Proteste an den Universitäten, weil die Studiengebühren um 16 % angehoben werden sollten. Widerstand richtete sich auch gegen unzureichende Unterkunftsmöglichkeiten sowie das Outsourcing von Dienstleistungspersonal.

An der Universität Pretoria ist überdies die Sprachenpolitik der Universität Stein des Anstoßes: Hier sollte neben Englisch an Afrikaans als zusätzlicher Unterrichtssprache in bestimmten Kursen festgehalten werden. Das aber stellt ein Privileg muttersprachlich afrikaanssprachiger Studierender dar und wurde entsprechend kritisiert.

Herr Mühr, wie ist derzeit die Lage an der Universität Pretoria nach den Unruhen Ende Februar?

Der Unibetrieb war zwei Wochen gestört, der Campus teilweise abgeriegelt. Inzwischen ist die Lage unter Kontrolle, aber angespannt. Der Hauptcampus wird mit sehr viel zusätzlichem Sicherheitspersonal gesichert. Bei einer Gefahr für Personal und Studierende wurde der Campus Ende Februar evakuiert. Dies war gestern [bei einer neuerlichen Demonstration, d. Red.] aber nicht nötig.

Welchen Hintergrund haben die Vorkommnisse?

Seit Oktober 2015 gab es an vielen Unis in Südafrika Protestbewegungen, die sich gegen Studiengebühren und auch gegen das Outsourcing von Dienstleistungspersonal richteten. Zum Semesterbeginn 2016 haben sich diese Proteste teilweise mit anderen Themen fortgesetzt und insofern verschärft, als es zu Gewalttätigkeiten kam. An der Uni Pretoria ist die Sprachenpolitik derzeit das Thema.

Was ist das Besondere? Warum jetzt?

Das Besondere ist, dass die Proteste durch politische Randgruppen geschürt werden, die damit im Kontext der anstehenden Kommunalwahlen auf sich aufmerksam machen wollen. Das Hauptproblem ist m.E., dass sie dabei zur Aggression neigen: Vorgestern kam es in Stellenbosch zu einem Brandanschlag, der glücklicherweise schnell kontrolliert werden konnte, aber vor etwa zwei Wochen gab es in Mafikeng verheerende Verluste nach einem Brandanschlag.

Wie wirken sich die Unruhen auf Ihre akademische Arbeit aus? Welche Auswirkungen hat das für die Studierenden auf dem Campus?

Die Evakuierung des Campus hat zu einer leichten Anpassung des akademischen Kalenders geführt; ansonsten läuft der Betrieb jetzt wieder normal. Was eigentlich zu leisten wäre, nämlich eine intellektuelle Durchdringung der Themen wie Sprachenpolitik, Outsourcing, Transformation etc., also gerade diejenigen Themen, die auch im Cluster erforscht werden, werden nur sehr verhalten und im Rahmen der universitären Richtlinien verhandelt.

Und wie reagieren Universität und Studierende?

Die meisten Studierenden scheinen von den Entwicklungen eher genervt zu sein. Denn es handelt sich um sehr kleine Aktionsgruppen. Die Verwaltung der Universität reagiert vor allem mit erhöhten Sicherheitskontrollen.

Welche Entwicklungen sehen Sie?

Die ganze Situation in Südafrika ist seit Oktober sehr angespannt und die Protestaktionen an den Unis müssen in diesem Kontext gesehen werden. Einerseits kommt Bewegung in eine Demokratie, die seit zwanzig Jahren offensichtlich nicht nur nicht genug Transformation erwirkt hat, sondern obendrein dabei zunehmend korrupten Entwicklungen zu unterliegen geriet.

Andererseits ist das Aggressions- und Eskalationspotential einiger Oppositioneller bedenklich. Als Studienstandort im Hinblick auf unsere Kooperation gewinnt Südafrika eher an Interesse, weil sich hier gesellschaftliche Phänomene von kultureller Integration, Desintegration und Umverteilung sehr explizit entfalten. Die Sicherheit der Studierenden ist aber gewährleistet.

Das Interview führte Jan Kröger.

Prof. Dr. Stephan Mühr lehrt Germanistik an der University of Pretoria. Seit 2013 leitet er dort das Programm des neuen Studiengangs „M.A. in African-European Cultural Relations“. Er ist Kooperationspartner des Konstanzer Europa-Studiengangs und forschte Ende 2015 drei Monate als Gast am Kulturwissen­schaft­lichen Kolleg Konstanz.

Weitere Informationen

South Africa's student protests have lessons for all universities.
The Guardian, 3. März 2016

Three South African Universities Closed Due to Student Unrest. ANC Charges “Regime-Change Strategy” Implicating US.
Global Research, 1. März 2016

Statement der University of Pretoria, 23. Februar 2016

Violent protests at universities, including Cape Town.
University World News, 20. Februar 2016